Paul war lange Zeit aktiv im selbstverwalteten JUZ Limbach. Langsam wächst er aber aus diesem Engagement heraus.
Wie er rückblickend seine Zeit im JUZ sieht, welche zentralen Erfahrungen er gemacht hat, welche Unterstützung es braucht und wo die Berührungspunkte von JUZ und Politik liegen hat er uns in folgendem Interview erzählt.

 

Hallo Paul. Mittlerweile machst du eine Ausbildung zum Erzieher und bist umgezogen. Wie oft bist du noch so im JUZ in Limbach?

Ein oder zweimal im Monat, um Leute zu treffen, Kontakte zu pflegen. Mein Lebensmittelpunkt ist es jetzt nicht mehr – Arbeit und Job sind mehr in den Mittelpunkt gerückt, und ich wohne jetzt auch in Saarbrücken – das ist knapp eine halbe Stunde Fahrzeit – und ich muss gucken, wo kann ich eher Kontakte pflegen, und das findet in der Stadt nun mal eher statt. Ich kann ja nicht nach der Arbeit um elf noch ins JUZ fahren. Das ist oft schade, man hat so das Gefühl, dass eine Ära zu Ende geht, aber auch was neues beginnt.

Rückblickend betrachtet, was waren wichtige Punkte in Deiner Zeit im JUZ?

Für mich hat sich die Zeit im JUZ mit den Jahren verändert, auch meine Rolle und meine Aufgaben und wie ich das JUZ wahrgenommen habe. Besonders nachhaltig für mich und meine Entwicklung war auf jeden Fall der Freiraum, da wir ja ein autonomes JUZ waren, das beinahe ausschließlich von meinen Freunden und mir selbstverwaltet wurde. Wir hatten damit einen Raum, in dem wir uns entfalten konnten. Wo auch mal Scheiße passiert ist, die wir aber dann selbst ausbaden konnten, damit umzugehen und zu lernen. Ein Raum zu haben, wo die Gesetze von Gesellschaft, Familie und Schule uns nicht ein engten. Das war für meine Entwicklung ganz essentiell, zum einen was so Sachen wie angeht wie Selbstbestimmtheit: Wo stehe ich in der Welt? oder Personlichkeitsentwicklung: Wer bin ich überhaupt? Und so Selbstbewusstsein: Was kann ich bewirken, was können meine Freunde bewirken, was kann ich bewirken, wenn ich einfach eine starke Truppe hinter mir habe?

Wozu bin ich als Individuum in einer Gesellschaft fähig und was ist meine Rolle? Klar, das hat im Mikrokosmos JUZ stattgefanden, aber ich habe gemerkt, dass sich das auch nach außen auswirkt. Die Entwicklung wirkt sich natürlich auch in den anderen Systemen aus – in der Familie habe ich mich anders verhalten, in der Schule hatte ich ein anderes Selbstbewusstsein, ein anderes Standing.

Aber auch wie wichtig ein Freundeskreis ist, denn im JUZ ist es ja nicht nur ein Freundeskreis, mit dem mal einen trinkt oder irgendwo in der Wallachei Scheiße baue, sondern es ist ein Freundeskreis, mit dem ich einen Raum organisiere, verwalte, Verwantwortung trage, die über die freundschaftliche Beziehung hinausgeht, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen, für den Raum, der auch für anderen Menschen zugänglich ist.

Wie hat das bei Euch mit der Teamfindung geklappt?

In meinem Job habe ich ja auch ein Team, der Unterschied ist einfach, dass man sich da vorher nicht gekannt hat – man wird zusammengeschmissen und dann heißt es, sich zu organisieren und seine Rolle zu finden. Bei uns im JUZ war das ja ein bisschen anders, weil wir schon ein fester Freundeskreis waren, der in dieses neue Gefüge hineingekommen ist, wo es zwar einen alten Vorstand gab, der aber sehr inaktiv war.

Im Freundeskreis hatte jeder schon seine Rolle, was sich natürlich dann auch in der Aufgabenverteilung herauskristallisiert hat – wer der ist, der nach vorne prescht, oder wer sehr offensiv ist im Umgang mit anderen. Das hat sich aber immer verändert und weiterentwickelt. Am Anfang war ich zum Beispiel noch zurückhaltender – ich war so ein Macher, ich habe immer geschafft, war bei allen Projekten dabei. Ich habe mich dann über die Zeit im JUZ weiterentwickelt und war dann auch federführend. Die Prozesse, mit denen sich die Rollen geändert haben waren stellenweise auch durchaus konfliktgeladen – es war aber kein Zank, kein Streit, der sich negativ auf die Gruppendynamik ausgewirkt hat. Das haben wir sehr gut hingekriegt zusammen.

Woran lag das, dass ihr Konflikte so gut lösen konntet?

Das mache ich zum einen an dem Typ Mensch fest, der da zusammengekommen ist.. Wir hatten viele Leute, die ein Händchen haben, was den sozialen Umgang angeht, was die Wahrnehmung von Gruppen und wohin sich jetzt gerade die Dynamik der Gruppe hin entwickelt. Wir waren da auch alle sehr dahinter, dass das gut klappt und wir alle auch da harmonisch zusammenleben können. Wenn der eine dem anderen ständig ans Bein pisst, ist es für alle scheiße.

Ich hatte das Gefühl, dass es ein Anliegen von jedem war, aber das wir das halt auch lernen mussten. Es gab natürlich auch so Geschichten am Anfang, wo es dann eher mal geknallt hat, wenn es nicht so geklappt hat – das war aber später gar kein Thema mehr.

Würdest Du sagen, dass das auch über den Kosmos Jugendzentrum hinaus gilt?

Absolut, wir haben da fürs Leben gelernt und das war neben der Schule unsere zweite große Schule, die wir uns selbst gebaut haben, die wir uns frei gewählt haben und die unseren Lebensmittelpunkt ausgemacht hat – jeden Tag! Morgens waren wir in der Schule und mittags waren wir im JUZ und haben da weitergelernt und weitergemacht.

Welche Strategien habt ihr im Umgang mit Misserfolgen und Scheitern gehabt?

Sich nicht als Vorstand oder als junge Gemeinschaft in so einem Jugendzentrum, nach außen abzuschotten wenn es mal Stress gibt. Also zu sagen, dass machen wir mit uns aus, das bleibt intern. Offensiv damit umgehen und das z.B an juz-united oder an Armin, unseren Jugendpfleger, herantragen und sagen, “Hey, da ist uns jetzt mal scheiße passiert. Habt ihr ne Idee und könnt ihr uns da unterstützen?”

Offenheit und Transparenz herstellen, natürlich auch untereinander transparent zu agieren. In dem Moment, wo viel unter der Hand passiert, nimmt man dem Raum seine Öffentlichkeit und eignet ihn sich als privaten Raum an. Die Gefahr besteht besonders, wenn man als Freundeskreis agiert. Das haben wir bei unseren Vorgängern gesehen, der Raum wurde quasi nur für Privatparties genutzt. Das ist es halt einfach nicht. Das macht Spaß, aber das nimmt dem ganzen irgendwie so den Sinn. Den Sinn mussten wir dann wieder finden.

Im Frühjahr oder wenn es gerade mal wieder so schleppend lief, müssten wir unser Feuer auch wieder finden, das nächste Projekt suchen und schauen, wie wir da hin kommen. Auch das waren Prozesse, die das Zusammenleben dort bestimmt haben.

Der professionelle Rahmen, wie juz-united oder Jugendpflege, kann man ja durchaus auch als Gefahr für solche Prozesse betrachten….

Alles, was ich jetzt beschrieben habe, hat ja auf der Freiheit basiert, die wir als autonomes Jugendzentrum hatten. Was das aber unterstützt hat, waren diese Institutionen, die von außen kamen – eben juz-united und die Jugendpflege im Ort. Eben weil die uns die Freiheit gelassen haben, aber auch immer wieder Angebote zur Hilfe und zur Weiterentwicklung gemacht haben. Das war für unsere Sinnsuche, die Projektsuche ganz essentiell.

Enger hätte es glaube ich nicht sein dürfen. Ich hatte nie das Gefühl, da irgendwo eingeschnürt zu sein, dass da unsere Grenze verletzt werden, hatte aber auch nie den Wunsche nach noch mehr Kontrolle oder Unterstützung.

Das war ja unser Schätzchen, das haben wir ja aufgebaut und geprägt und da hätte eine Kraft von außen, die was verändert, nicht reingepasst.

Wenn jetzt ein neuer Vorstand kommt, wenn jetzt jüngere kommen, die müssen das gleiche durchmachen, die müssen auch erst diese Beziehung zu diesem Ort aufbauen, der als JUZ nur existiert, weil junge Menschen drin sind. Es ist ja nicht nur das Haus, sondern auch die Menschen, die ihn bewohnen in der Zeit, und daraus leitet sich auch die Bedeutung des Ortes für jeden einzelnen ab.

Natürlich finde ich es doof, wenn juz-united nur da ist, wenn es brennt. Das macht Euch keinen Spaß und haben auch ein schlechtes Gewissen dabei. Aber sich anbieten und nicht aufdrängen. Das ist ein guter Weg und das ist das was wir auch oft gebraucht haben.

Der Ort ist ja für uns in dieser Zeit, in der viele Entwicklungsschritte stattgefunden haben, Freiheit gewesen, nicht weniger. Mehr ging eigentlich nicht. Ich hätte mich ins Auto sitzen können und nach Holland ans Meer fahren oder halt ins JUZ gehen könne, ich wäre genauso frei gewesen.

Mit welchen externen Institutionen, Vereinen, Gemeinschaften habt ihr Euch so auseinandergesetzt, und wie hast du das wahrgenommen?

Zum einen haben wir uns mit den Gemeinden und den Ortsräten auseinandergesetzt, die Politik will ja auch wiedergewählt werden und muss sich auch mit den Interessen der jungen Menschen auseinandersetzen und so ein lebendiges Jugendzentrum macht einen Ort ja nun auch mal attraktiv.

Die Vertreter kamen dann einmal oder alle zwei Jahre vorbei und wir tauschten uns aus, was wir noch brauchten, was unsere Anliegen sind oder auch über Dinge, die sie nicht so gut fanden. Wobei dieser Austausch eigentlich eher seltener als oft stattfand. Sie haben uns auch mal mit Geldern unterstützt, aber das war auch nicht häufig. Der Kontakt war ganz gut.

Mit dem Bürgermeister lief es gut, da hatten wir das Glück, in einer sehr liberalen Gemeinde zu leben, was Jugendkultur angeht. Das JUZ war ja nun doch sehr Punkrock geprägt und das ist ja auch nicht so superleise und so super unauffällig. Aber wir sind immer auf Toleranz und Annahme bei der Gemeinde gestoßen. Bei allen eigentlich, außer einer Nachbarin, die hat aber glaube ich jedes Jugendzentrum.

Bei Projekten, z.B beim Palettenmöbelbau haben wir öfters bei Unternehmen angefragt und Sponsoring bekommen, oder ermäßigte Preise. Oder mit dem Bauhof der Gemeinde zusammengearbeitet.

Mit der RAG 2018 haben wir zweimal Projekte angemeldet und durchgeführt, wobei uns da juz-united immer sehr unterstützt hat.

Das Netzwerken für die Sachen war immer sehr wichtig. Also nicht nur was die Musik angeht an, Bands und Veranstalter und so, sondern auch Leute bei der Gemeinde zu kenne, Leute, die Kontakte haben, wo man einfach mal anrufen kann.

Hat der Kontakt zu Gemeinde etc. auch Dein Politikverständnis oder dein Einblick in politische Prozesse beeinflusst?

Ja. Die Strukturen, die im kleinen stattfinden, im Ortsrat und wie man sich da engagieren kann, das wird einem natürlich deutlicher, wenn man als Verein mit denen agiert. Dann wird man auch eher mal eingebunden und kommt auch von selbst auf die Idee, sich mal zu beteiligen, wenn es um irgendwelche Feste und Weihnachtsmärkte geht.

Wenn es Politik geht, ist ein Jugendzentrum auch ein Ort, wo einen aufwecken kann, für ganz viele Dinge, die es da noch so gibt. Das JUZ war wesentlicher Bestandteil meiner Politisierung. Dieses Wachrütteln und einfach das Interesse wecken für politische Belange und gesellschaftliche Entwicklungen.

Wir machen ja nun auch Politik als Jugendzentrum, wir stehen ja im Ort ein für junge Menschen. Und den Blick dann darüber hinaus zu richten, der Schritt ist nicht weit. Für mich war das ein ganz wesentlicher Faktor, der dazu geführt hat, mich auch politisch zu bilden und meine politische Einstellung herauskristallisieren konnte, was so meine Ansichten sind, wie sich Gesellschaft entwickeln kann und sollte.

War das JUZ in seiner damaligen Form schon ein ordentliches Werkzeug zur Partizipation oder gabs da auch Grenzen?

 Es gibt ja diesen Spruch: “Meine Freiheit ist die Freiheit der anderen.” Und das waren für uns die Grenzen. Die Grenzen, die wir im Jugendzentrum hatten, hatten wir uns selbst gesteckt. Natürlich gibt es Faktoren, die von außen gesteuert sind, aber die Grenzen war immer die, die wir uns selber gesetzt haben und auch immer wieder abgeklärt haben. Wir haben einmal die Woche Vollversammlung gehabt, in dem sie immer wieder neu abgesetzt wurden. Das ging von “Wer bringt das Altglas weg?” hin zu “Warum ist es scheiße, wenn auf dem JUZ Gelände gekifft wird?” Die ganze Bandbreite vom menschlichen Zusammenleben wurde da jede Woche wieder besprochen und durchgekaut. Das ist etwas, was ich nicht missen möchte und das wird mich auch mein Leben begleiten. Ich werde ja immer mit Menschen zusammenleben, und wenn es nur mein Nachbar ist. Das, was ich im JUZ gelernt habe, wird da immer mit rein spielen.

Kann man diese Interessensaushandlung auf der VV auch auf das große Ganze beziehen?

Absolut. Das ist genau das, was im Bundestag geschieht. Vielleicht etwas direkter und nicht ganz so chaotisch. Es werden Menschen gewählt, die das Ganze anleiten, es werden Vorschläge gemacht und dann geschaut, wer das umsetzen möchte und welche Mittel zur Verfügung stehen und in welchem Zeitraum das passiert. So funktioniert Demokratie.

Wär das Jugendzentrum ein geeignetes Werkzeug zur Einspeisung der Interessen Jugendlicher in die Politik?

 Wir sind ja ein Verein und als solcher stehen wir auch in der Öffentlichkeit und uns stehen öffentliche Mittel zur Verfügung. Ein Mittel davon ist auch, dass wir im Ort Mitsprachemöglichkeiten haben, und die können wir nutzen – unser Partner wie juz-united oder die Jugendpflege im Ort können wir ansprechen. Als Jugendzentrum sind wir eine Lobby. Das ist auch der Anspruch, den Jugendpflege zukünftig an sich haben muss: dass junge Menschen auch eine Lobby haben, eine Möglichkeit haben, sich zusammenzutun, abseits von gemeinsamen Interessen.

Denkst Du, dass die Vertreter der Kommunalpolitik auf dem Schirm haben, dass die JUZE als sowas fungieren können?

Nein. Es gibt Institutionen wie die Jugendpflege, die das als Chance noch sehen, aber ich glaube nicht, dass das im öffentlichen Diskurs so eine starke Rolle spielt im Moment.

In der Politik kommt es gefühlt selten vor. Ich hab das Gefühl dass bei autonomen Jugendzentren eher das Konfliktpotential gesehen wird statt der partizipatorischen Nachhaltigkeit.

Das ist aber ein so geringes Übel im Vergleich zu den Mehrwerten, die das bietet für Generationen, die gefühlt in ein immer enger werdenden gesellschaftliches Korsett gezwängt werden.

Ich glaube, dass wir da eine viel größere Akzeptanz bzw auch Öffentlichkeit bräuchten, die das reflektiert wahrnimmt.

Danke Paul!