Interview mit dem Geschäftsführer des Adolf-Bender-Zentrums, Jörn Didas.

Er begleitet seit vielen Jahren die unterschiedlichen Bundesprogramme zur Demokratieförderung. Als Leiter der Fachstelle im Netzwerk gegen Rechtsextremismus mit dem Schwerpunkt Demokratie- und Menschenrechtsbildung ist er ein ausgewiesener Experte in diesem Feld.

Warum ist deiner Meinung nach Demokratiebildung momentan besonders wichtig?

Die Frage ist ob es jetzt besonders wichtig ist oder ob es das nicht schon immer war. Demokratiebildung ist ein ganz wichtiger Auftrag an die Jugendarbeit, weil wir damit zu den zentralen Fragen des Zusammenlebens kommen wie “Wie wollen wir unser gesellschaftliches Miteinander gestalten.” oder “Was macht unser Zusammenleben aus?”. Wir kommen aus einer Zeit, wo es uns gar nicht mehr bewusst war, dass Demokratie etwas ist, zu der wir alle unseren Beitrag leisten müssten, jeder Einzelne. Das ist ja das Gegenmodell zu einer Politik, die davon ausgeht, dass die da „Oben“ das schon irgendwie alles regeln. Das ist ja leider auch manchmal, wie Politik rüberkommt: Wir kümmern uns schon um alles, am besten stellen BürgerInnen auch gar keine Ansprüche und dann läuft das schon. Wir sind an dem Punkt zu merken, dass es so nicht mehr funktioniert. Fridays for Future ist ein klassisches Beispiel dafür, dass ein “Weiter so!” gar nicht funktioniert. Wenn man sich den Rechtspopulismus anschaut, wird einem klar, dass ein Weiter so nicht funktionieren wird. Die Idee von Demokratiebildung ist ja, dass junge Menschen ermutigt werden, sich selbst demokratisch zu engagieren. Und die Idee von politischer Bildung ist dabei, junge Menschen zu begleiten, sich kritisch mit den Zuständen auseinanderzusetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden und für sich zu entscheiden, ob und wie sie sich einbringen wollen.

Wo und wie findet nun diese Demokratiebildung normalerweise statt?

Es gibt sowas wie Demokratie ja als Staatsform, als Gesellschaftsform und als Lebensform. Eine positive Einstellung zum Thema Demokratie ist unabdingbar. Wenn ich Demokratie nur als Staatsform lerne, dann weiß ich nur, wie der Bundestag funktioniert, aber wenn ich keinen inneren positiven Bezug dazu habe, weil ich das im Alltag nicht gelernt habe, warum soll ich dann das Regierungssystem gut finden. Für die Demokratiebildung braucht es beides, ein Wissen um gesellschaftliche Zustände, aber auch einen Zugang für mich persönlich und für meine soziale Gruppe. Wenn ich ein Jugendzentrum haben will, muss ich wissen, wie ein Gemeinderat funktioniert, wie ich mich dort verhalten muss, damit mein Interesse im Rahmen des Gemeinwesens gehört wird.

Demokratie lernt man eben nicht nur im Politikunterricht in der Schule, sondern über ganz viele Gelegenheitsstrukturen bei denen ich mich echt beteiligen kann. Die Frage ist ja dann, wie demokratisch sind unsere Vereine, unsere Jugendzentren, unsere Schulen? Wenn ich Menschen dazu bringen möchte, Demokratie gut zu finden, dann müssen unsere Strukturen auch Mitbestimmung und Partizipation ermöglichen.

Wie müssten diese Strukturen genau aussehen, um demokratische Orientierungen zu fördern?

Es müssten offene Räume sein, Räume, die es ermöglichen, dass ich meine Ideen ausleben oder mit anderen aushandeln kann. Dass ich Mitbestimmunsgrechte habe, dass meine Interessen auch was zählen, dass ich aber auch den Raum habe, wo nicht alle meiner Meinung sind. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie gehört werden, dass sie ernstgenommen werden, dann ist das schon mal ein hilfreicher Aspekt. Ich muss aber auch etwas gestalten können. Ich habe ein Interesse, ich habe eine Idee, ich will das umsetzen, einen Sinn darin sehen oder auch dabei scheitern. Das sind so Dinge, die für demokratische Räume wichtig sind. Aber auch dass die Menschen ein Gefühl dafür haben, wie sie hier miteinander umgehen wollen, gerade auch was die Frage von Ausschluss und Diskriminierung angeht. Wem gehört der Raum und wie offen sind wir? Wie handeln wir die Regeln aus? Haben denn alle im Jugendclub das gleiche Recht? Das ist ja die Grundvoraussetzung einer demokratischen Struktur. Das gilt für Schulen, Jugendzentren, aber auch für Vereine. Wir leben in einer sehr individualisierten Gesellschaft. So wichtig das ist, in der Demokratie mich als Individuum wahrgenommen und wertgeschätzt zu fühlen, so braucht es auch das Gefühl der Solidarität und der Unterstützung im Verschieden sein. Wenn der Treff das alles hergibt, steckt da sehr viel Potenzial zur Demokratiebildung drin.

Welche Unterstützung brauchen denn diese demokratischen Räume?

Ihr kennt das: Das Jugendzentrum ist laut, die Nachbarschaft beschwert sich. In der Regel sind das in einer Konfliktsituation nicht unbedingt die zwei Parteien, die die den Konflikt gleichberechtigt lösen können. Die Frage ist ja, wer hat wie viel Macht, wer ist in der Lage, seine Interessen durchsetzen zu können? Die Jugendlichen mit 16 Jahren, die Krach machen oder ist es der alteingesessene Nachbar? Demokratie ist ja auch die Frage von Interessendurchsetzungaspekten. Das ist die Frage, ob beide auf etwa gleichberechtigte Art und Weise ihre Interessen einbringen können. Haben die Jugendlichen das Wissen um die politischen Strukturen? Muss man sie hierbei unterstützen?

Wenn ich meine Interessen durchsetzen will, brauche ich eine politische Sprache, damit ich gehört werde. Zusätzlich muss ich wissen, dass mein Interesse ein Interesse unter vielen ist, die es in der Gemeinschaft gibt. Das ist ein Punkt, der Übersetzungsarbeit notwendig macht. Was sind meine Interessen, was sind die Interessen der anderen? Welche Möglichkeiten der Intessenartikulation gibt es? Ein Gefühl dafür zu haben, dass es Gremien gibt, z.b. der Gemeinderat, wo man die Dinge vorbringen kann, wo man sie aber auch vor bringen muss. Das kann so ein Punkt sein, wo es Aufgabe von pädagogischen Fachkräften ist, die Jugendlichen da noch mal zu unterstützen.

Wir machen bei unseren Interviews immer wieder die Erfahrung, dass Menschen die sich politisch oder sozial engagieren früher in der Jugendarbeit aktiv waren. Wie sieht es denn bei dir aus?

Ich komme aus einem kleinen saarländischen Dorf und wir haben uns immer auf dem Dorfplatz getroffen. Und dann lief es halt so, wie es immer läuft: Einer fuhr mit dem Auto vor, machte den Kofferraum auf und dann wurde es laut. Dann haben die Nachbarn sich beschwert. Kurzzeitig haben wir dann den Raum unter der Kirche bekommen. Das ist aber kollidiert mit den Vorstellungen der Küsterin, wie der Raum abends zu hinterlassen ist. Dann kamen wir auf den Gedanken einen eigenen Jugendclub zu gründen. Mit Unterstützung des Jugendbüros sind wir zur Gemeinde und haben dann tatsächlich einen Raum bekommen. Da bin ich heute noch stolz darauf. Dann hatten wir also einen Raum – also nicht nur einfach einen Raum, sondern einen Raum für uns, den wir gestalten konnten. Das war so ein Gegenentwurf zur Schule. Und es war das erste Mal, dass ich eine Funktion in einem Verein hatte. Ich bin bis heute noch Mitglied des Jugendclubs.

Für mich ist der Club vor allem ein Gestaltungsraum gewesen. Der war ja auch nicht immer konfliktfrei z.b. die Frage wer investiert wie viel Energie in diese Renovierungsarbeiten. Und wen wählen wir danach zum Vorsitzenden für unseren Verein.

Und was hat dich dabei am meisten geprägt?

Ich glaube das „ZUSAMMEN MACHEN“ und “MAN KANN DAS SCHAFFEN” hat mich geprägt, auch wenn es ein langer Weg ist, und es keine Sicherheit gibt, ob das funktioniert. Aber dann festzustellen, dass wir es geschafft haben. Das Schöne ist: Das Ding steht ja heute noch. Da gehen heute noch die jungen Leute hin und mein Zutun ist schon über 20 Jahre her. Dieser Raum war was, was auch über Altersheterogenität funktioniert hat – wir waren ja nicht alle 15, es waren auch ältere und jüngere dabei. Das war für uns im Dorf etwas, was uns auch über die Altersspanne hinaus zusammengebracht hat. Ich glaube, da haben ganz viele Leute Power für ihr Leben rausgezogen. Ich weiß noch, wie unserem damaligen Vorsitzenden zu schaffen gemacht hat, den Vorsitz altersbedingt abzugeben. Er hat ganz viel Zeit dafür investiert. Unsere Sorge war immer, werden die, die nach uns kommen, das genauso machen wie wir uns das vorstellen. So Übergabeprozesse – das Loslassen können – das können schon ganz schön konfliktreiche Situationen sein wenn man sich so mit dem Laden identifiziert, im dem man die Jugend verbracht hat.