„Selbstbildung im besten Sinne“
Interview mit Prof. Dr. phil. Markus Emanuel
Markus Emanuel (39) war Gründungsmitglied des Jugendtreff Hemmersdorf und viele Jahre im Vorstand aktiv. Heute ist er Professor an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt für Soziale Arbeit und beschäftigt sich weiter – nun beruflich in Forschung und Lehre – mit der Kinder- und Jugendarbeit.
Wir haben ihn mal zu seinem Werdegang befragt.
Zunächst mal vorweg: Wie kam es zum Engagement im Jugendtreff?
In unserem Ort gab es eine feste Gruppe Jugendlicher, die sich regelmäßig in Räumlichkeiten der Arbeiterwohlfahrt traf, um „ihr eigenes Ding“ zu machen. Doch es wurde schnell klar, wenn man selbstständig und verantwortlich eigene Unternehmungen planen, Konzerte organisieren oder einfach nur in Ruhe abhängen will, braucht man eigene Räume! Mit Unterstützung der Gemeinde konnten wir dann einen Teil des leerstehenden Bahnhofs mieten und haben diesen in Eigenregie mit Hilfe von Eltern und Freunden komplett saniert. Zu unser aller Stolz konnten wir 1990 den Treff mit einem großen Fest eröffnen.
Was hast Du aus deiner Sicht in der Zeit im Jugendtreff gelernt?
Das war eine ganze Menge. Zu Beginn lernte ich vor allem, wie wichtig es ist, für seine Interessen selbst einzustehen und nicht zu warten bis Erwachsene dies für einen stellvertretend tun. Wir verhandelten mit Politikern vor Ort und setzten uns auch mit den alteingesessenen Vereinen auseinander. Auch innerhalb unserer Gruppe gab es Auseinandersetzungen und Konflikte, die gelöst oder auch mal ausgehalten werden mussten. Während der Sanierung des Bahnhofs lernte ich allerlei handwerkliche Sachen, war ich als einer der jüngsten meist der Handlanger eines „Handwerker-Papas“ und konnte anschließend Fliesen legen, Verputzen, Steckdosen verkabeln usw. Der Betrieb eines Treffs verlangt selbstverständlich auch organisatorisches Geschick und man lernt Verhandeln, Planen, Wirtschaften usw. Insgesamt würde ich heute rückblickend frei nach dem Erziehungswissenschaftler Klafki sagen, selbstverwaltete Jugendarbeit fördert: Selbstbestimmungsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit und Solidaritätsfähigkeit; übrigens alles Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Demokratie.
Wie kamst du darauf Soziale Arbeit zu deinem Beruf zu machen und letztlich an der Hochschule zu landen?
Über mein Engagement im Jugendtreff habe ich die Erfahrung gemacht, dass in unserer Gesellschaft häufig die Erwachsenen bestimmen und Kindern und Jugendlichen nicht viel zugetraut wird. Gleichzeitig habe ich damals einige wenige engagierte Erwachsene kennen gelernt, die Kinder und Jugendliche ernst nehmen und sie bei der Entfaltung ihrer Möglichkeiten unterstützen, auch gegen die Interessen von Erwachsenen. Dieses Engagement hat mich beeindruckt und fasziniert. Danach war der Weg zur Sozialen Arbeit nicht mehr weit, ich wollte mich beruflich für Kinder und Jugendliche einsetzen. Nach meinem Studium an der FH arbeitete ich einige Jahre im Jugendamt mit belasteten Familien und danach in der Planung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. Mein Interesse für die Theorien und Hintergründe der Praxis blieb aber immer wach, sodass ich mich entschloss an der Universität Erziehungswissenschaften zu studieren und meine Doktorarbeit über die Kinder- und Jugendhilfe zu schreiben. Seit zwei Jahren bin ich nun Professor für Soziale Arbeit und bleibe meinem Anliegen aus einer anderen Position treu. Ich versuche junge Studierende dafür zu sensibilisieren, dass Kinder und Jugendliche etwas wissen, etwas können und etwas zu sagen haben.
Was beschäftigt Dich beim Thema Jugendarbeit fachlich am meisten?
Da gibt es vieles, doch eines ist mir besonders wichtig und der Umgang damit ärgert mich auch. Immer wieder wird behauptet die Angebote der Jugendarbeit und damit die Förderungen durch die Kommunen wären freiwillig. Damit argumentiert die Kommune: wenn kein Geld da ist, kann auch keine Jugendarbeit finanziert werden. Dies ist aber rechtlich so nicht haltbar. Die Jugendarbeit ist keine freiwillige Leistung! Die Kommunen sind rechtlich verpflichtet bedarfsgerechte Angebote vor Ort zu gewährleisten. Für die Feststellung welchen Bedarf es gibt, ist der Jugendhilfeausschuss zuständig. Wenn die Jugendhilfeplanung feststellt, dass hier der Bedarf eines selbstverwalteten JUZ besteht, kann die Kommune nicht einfach untätig bleiben. Der Schlüssel zu einer Absicherung der Jugendarbeit in den Kommunen ist also das Engagement in den Jugendhilfeausschüssen (hier haben freie Träger Stimmrecht und auch Einzelpersonen können einen Sitz erhalten) sowie das Einfordern einer fundierten Jugendhilfeplanung für die Jugendarbeit. Hier gibt es noch viel zu tun! Aus meiner Position habe ich mich hierzu mit einem eindeutigen Fachartikel1 zu Wort gemeldet.
Welche Rolle würdest Du aus fachlicher Sicht der Jugendarbeit zuschreiben?
In einer Zeit, in der Kindheit und Jugend als Lebensphasen immer stärker zeitlich, räumlich und inhaltlich verregelt werden, haben für mich die Freiräume in der Jugendarbeit einen unersetzlichen Wert für die selbstständige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Vor allem die selbstverwalteten Juze sind Orte des Ausprobierens, des Zu-sich-kommens und der Auseinandersetzung mit sich und dem Umfeld. Hier geschieht Selbstbildung im besten Sinne. Im Hinblick auf aktuelle, auch globale Herausforderungen wie z. B. der Rechtsruck in vergangenen Wahlen, die Medialisierung der Gesellschaft, die zunehmenden Umweltprobleme ist aus meiner Sicht die Jugendarbeit – die selbstverwaltete ganz besonders – unverzichtbar, um ein Heranwachsen der nächsten Generation zu ermöglichen, die diese Herausforderungen zu bewältigen vermag.
1 Freiwillige Leistung oder Pflichtaufgabe? 20 Jahre Missverständnisse in der Praxis über Leistungsansprüche aus dem SGB VIII. In: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 7. Jg., 6/2011, S. 207 – 212.